Veganer retten nicht die Welt, sagt Ulrike Gonder. Die Ökotrophologin meint, sie wissen zu wenig über die Natur.
„Vegan ist das neue Viagra“ – mit solchen und ähnlichen Slogans gepusht, erlebt die besonders strenge Form vegetarischen Essens derzeit einen regelrechten Boom: Vegane Restaurants laden zum ethisch korrekten Essen ein.
Viele Verbraucher möchten ihren ökologischen Fußabdruck verringern, wollen sich gesund ernähren, ohne Natur zu überstrapazieren, und haben die Nase voll von leergefischten Meeren, geschundenen Tieren und Futtermittelskandalen. Was liegt da näher, als auf Fleisch und Fisch oder gleich auf alle tierischen Produkte zu verzichten und sich von Getreide, Bohnen und Gemüse zu ernähren
.
Dieser
Logik folgte auch die amerikanische Umweltaktivistin Lierre Keith, die
mit 16 Jahren zur Veganerin wurde. Zwanzig Jahre lang aß und lebte sie
so, aus der festen Überzeugung, die Natur zu bewahren, die Tiere zu
schützen und den Hunger zu beenden. Rückblickend sagt sie, dass sie wie
viele andere „urbane Industrialisten“ zwar noble Motive hatte, jedoch
keine Ahnung von Ackerbau und Viehzucht, von natürlichen Kreisläufen
und „von der Natur der Natur“. Insbesondere der Veganismus, sei er
politisch, moralisch, ökologisch oder gesundheitlich motiviert, ist eine
Sackgasse.
Einer der
Denkfehler vieler Vegetarier ist die Annahme, die heute übliche
agrarindustrielle Intensivmast sei die einzige Möglichkeit, Tiere zu
halten. Ihre Kalkulationen zum Energieverbrauch, zum Kalorieneinsatz, zu
den hungernden Menschen, basieren alle auf der Idee, dass Nutztiere
Getreide benötigen und dass man mit diesem Getreide besser Menschen satt
machen sollte.
Schafe sind keine Nahrungskonkurrenten
Dabei wird vergessen, dass Rinder, Ziegen oder
Schafe Weidetiere sind, die über Jahrmillionen nie in
Nahrungskonkurrenz zum Menschen standen. Im Gegenteil: Diese Tiere
essen, was wir Menschen nicht nutzen können – die Zellulose der Gräser –
und wandeln sie in für uns hochwertige Nahrung um: in Fleisch und
Milch, in Eiweiß und Fett.
Anstelle der
Tierhaltung mehr Getreide oder Soja für die wachsende Menschheit
anzubauen, löst weder das Welthungerproblem noch schont es die Umwelt.
Von den rund fünf Milliarden Hektar urbarem Land auf dieser Erde sind
3,4 Milliarden Weideland. Mehr als zwei Drittel der nutzbaren Flächen
dienen also der Erzeugung tierischer Lebensmittel. Und das ist
keineswegs Verschwendung, sondern eine ökologische Notwendigkeit. Diese
Flächen sind für Ackerbau ungeeignet. Die einzige Möglichkeit, auf
diesen Flächen nachhaltig Nahrung zu gewinnen, ist die Tierhaltung.
Was
passiert, wenn man Weideland wie die großen Steppen und Prärien für
Weizen und Mais umpflügt oder die Wälder für Sojafelder abholzt, ist
hinlänglich bekannt: weltweit kam es in der Folge derartiger
landwirtschaftlicher Eingriffe zu Erosionen und Versalzung, und das
Bodenleben erstarb. Am Ende bleibt nur Staub und Wüste, wo zuvor über
Jahrmillionen Nahrung und Mutterboden entstanden, wo unvorstellbare
Co2-Mengen gebunden waren, die das Umpflügen freisetzt.
Wie steht
es mit dem Biolandbau? Biolandbau und Vegetarismus schließen einander
aus. Durch den Verzicht auf mineralische Düngemittel ist die
ökologische Landwirtschaft ganz besonders auf Tiere als
Düngerproduzenten angewiesen. Geschlossene Kreislaufwirtschaft heißt ihr
Grundprinzip: Tiere, Menschen und Pflanzen leben in einer sich
gegenseitig stützenden und nährenden „Mischkultur“. Nur so ist
Nachhaltigkeit überhaupt möglich. Würden die Biokunden auf Fleisch,
Milch und Eier verzichten, wäre dies das Ende der ökologischen
Landwirtschaft.
Aber ist es nicht
herzlos, Tiere zu schlachten? Herzlos ist, wie mit vielen Tieren auf der
Welt noch immer umgegangen wird. Das ist beschämend und muss geändert
werden. Wäre es ethisch und moralisch nicht besser, ganz darauf zu
verzichten, fühlende Wesen zu töten?
„Ich esse
nichts, was ein Gesicht oder eine Mutter hatte“, ist ein beliebter
Ausspruch unter Vegetariern. Doch er ist kein gutes Argument. Alles, was
lebt, hatte eine Mutter (und vieles einen Vater), auch Pflanzen. Zudem
zeigt der Spruch, wie anthropozentrisch die Tierschützer im Grunde sind:
Fühlen Lebewesen, die uns nicht ähnlich sind (die kein Gesicht haben),
weniger? Sind sie weniger schützenswert? Wer zieht hier wo die Grenzen?
Was ist mit den millionenfach im Boden lebenden Einzellern, Würmern und
Bakterien, die durch den Anbau von Getreide- und Sojamonokulturen
getötet werden? Zählen die nicht?
Warum
nicht? Weil man auch als Veganer irgendetwas essen muss? Genau hier wird
die Willkürlichkeit der Grenzziehung deutlich: Wer jegliches Leben
schützen will, wird verhungern. Das heißt andererseits: es gibt kein
Essen, kein Leben ohne den Tod – es muss immer jemand sterben, damit ein
anderer essen kann. Der Anbau von Getreide und Bohnen bildet da keine
Ausnahme.
Ein
weiteres häufig vorgebrachtes Argument ist das gesundheitliche:
tierisches Eiweiß und tierische Fette wurden zwar zu unrecht, jedoch so
lange und intensiv verunglimpft, dass viele Vegetarier ernsthaft
glauben, wenn sie darauf verzichten, werden sie automatisch gesünder.
Nun ist der Mensch
von der Natur als Omnivore (Allesesser) konstruiert, was nichts anderes
heißt, als dass wir mit einer aus tierischen und pflanzlichen
Lebensmitteln zusammengesetzten Kost am besten fahren. Man kann sich
ohne Fleisch sehr gesund ernähren. Doch eine rein pflanzliche Kost, wie
sie Veganer als besonders gesund propagieren, liefert niemals alle
Nährstoffe, schon gar nicht für Kinder oder Schwangere.
Dass es dennoch Veganer
gibt, die sich (noch) bester Gesundheit erfreuen, liegt daran, dass sie
zu allermindest Vitamin-B12-Präparate einnehmen. Doch selbst mit
Nahrungsergänzungen kann es mit der veganen Kost schief gehen. Kürzlich
erklärten zwei prominente US-Veganerinnen, dass sie trotz bester
Pflanzenkost krank wurden und nun – wie auch Lierre Keith – wieder
tierisches essen.
Ulrike Gonder, ist
Diplom-Ökotrophologin und streitbare Journalistin. Für systemed hat sie
das Buch „Ethisch essen mit Fleisch“ von Lierre Keith übersetzt und
ergänzt. Artikel erschienen in der Ausgabe zeo2 03/13.
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