Alphabet - der Film

Freitag, den 04. Oktober 2013, veröffentlicht auf skip.at

98% aller Kinder kommen hochbegabt zur Welt.  Nach der Schule sind es nur noch 2%.



Eine echte Bildungsdebatte beginnen, abseits von Nebenschauplätzen wie Gesamtschule und Lehrerdienstrecht? Erwin Wagenhofer hat uns mit We Feed the World den Appetit und mit Let's Make MONEY den Spaß am Spekulieren verdorben. Seine neue Doku geht noch einen großen Schritt weiter: Alphabet ist eine faszinierend-spannende Bestandsaufnahme der Strukturprobleme in Schul- und Bildungssystemen; eine umfassende Analyse der grundlegenden Fehlentwicklungen unserer Leistungs- und Wettbewerbsgesellschaft, die den Kindern den Spaß am Lernen austreiben. Am Extrembeispiel China wird deutlich, wie Bildungsstätten zu Lernfabriken verkommen sind, in denen Kinder zur Lernbulimie verdammt sind, darauf dressiert, isolierte Wissensinhalte bei Prüfungen fehlerfrei auszuspucken. Leistung, Quoten, Notendruck - für individuelle Talente, Begeisterung, unangepasstes Denken, Kreativität bleibt da kein Platz. Nicht nur in China, übrigens.

Alle Kinder sind Genies. Bis sie von einer Bildungseinrichtung vereinnahmt werden und verkümmern. Hirnforscher haben längst bewiesen, dass die Schule als Dressuranstalt eine Sackgasse ist, ungesund und gegen die Natur des Kindes. In börsenotierten Nachhilfeinstituten liegt sicher nicht der Schlüssel zur Lösung der globalen Krisen, der Herausforderungen vor denen wir als Gesellschaft stehen. In der Heranzüchtung von gleichgeschalteten Eliten an "den besten Universitäten" aber offenbar auch nicht, denn die sind praktisch uneingeschränkt an der Macht - und stehen den krisenhaften Entwicklungen gleichermaßen macht- wie perspektivenlos gegenüber.

Nie mehr Schule? Nicht unbedingt, aber die festgefahrenen, nicht mehr zeitgemäßen Strukturen müssen sich radikal ändern, kosmetische Reförmchen werden nicht ausreichen. Aber, können wir es uns leisten, können wir es unseren Kindern zumuten, auf "die da oben" zu warten, auf Politiker mit Visionen abseits des nächsten Wahlergebnisses? Erwin Wagenhofers Film zeigt, was möglich ist, wenn Neugier, Wissendurst, Kreativität und Talente gefördert werden. Experten wie Hirnforscher Gerald Hüther oder der leidenschaftliche Pädagoge Arno Stern kommen zu Wort, aber auch "Mr. PISA" Andreas Schleicher; stellvertetend dafür, dass auch die Wirtschaft längst unter den Schwächen des momentanen Systems, das uninspirierte Führungskräfte produziert, leidet, steht Thomas Sattelberger, Personalvorstand von u.a. Daimler-Benz oder Deutscher Telekom. Erwin Wagenhofer macht mit Alphabet einen mutigen Schritt in Richtung Bewässerung der Bildungswüste. Jetzt müssen wir ihm nur noch möglichst zahlreich folgen.

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