Stehen wir kurz vor einer neuen Eiszeit?

Montag, den 14. Oktober 2013, veröffentlicht auf info.kopp-verlag.de
    
Der angeblichen globalen Erwärmung zum Trotz warnen Wissenschaftler, dass uns eine neue Eiszeit bevorstehe. Ist da was dran? Laut Spiegel Online ist der Golfstrom, dem wir unser mildes Klima verdanken, in den letzten 50 Jahren um ein Drittel schwächer geworden. Focus Online behauptet, das sei nicht so. Alles wie immer also? Oder vereist demnächst Nordeuropa?

»Der Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC), an dessen Berichten Hunderte von Wissenschaftlern aus aller Welt mitwirken, schätzt die globale Erwärmung bis 2100 auf +1,4 bis +5,8 Grad Celsius gegenüber 1990. Mit gravierenden Folgen: häufigere und intensivere Stürme, Starkregen und Überschwemmungen, Dürreperioden, abrupte Klimaänderungen wie das mögliche Versiegen des Golfstroms.« (1)

Ganz lapidar weist das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) im Februar 2005 in seiner Broschüre Das Kyoto-Protokoll auf eine Gefahr hin, die Wissenschaftler mehr und mehr beschäftigt: den Ausfall von Europas Fernheizung. Wenn nämlich der Nordatlantikstrom, der warmes Wasser aus dem karibischen Raum bis hinauf nach Grönland bringt und für mildes Klima in Westeuropa sorgt, nachlässt, dann droht uns eine neue Eiszeit. Ist dieses Szenario nur Panikmache besorgter Klimaforscher? Wie hoch stehen die Chancen, dass dieser Fall tatsächlich eintritt? Und was können wir tun, damit nicht in Mitteleuropa sibirische Temperaturen herrschen?

Die These vom süßeren Wasser

Seit Jahren warnen Wissenschaftler vor einem Versiegen des Golfstroms infolge der Klimaerwärmung. Durch höhere Niederschläge und das Abschmelzen des Grönland-Eisschildes – so ihre Theorie – werde dem nördlichen Teil des Atlantiks mehr Süßwasser zugeführt als bisher. Nach Berechnungen der Meeresforscherin Ruth Curry vom Woods Hole Oceanographic Institute haben sich zwischen 1965 und 1995 20 000 Kubikkilometer geschmolzenes Polareis in den Atlantik ergossen. Aus den Satellitenfotos aus den Jahren 1970 und 2003 läßt sich ablesen, dass innerhalb der letzten 33 Jahre 40 Prozent des Nordpols geschmolzen sind (2). Durch diese enorme Süßwasserzufuhr, mutmaßen die Meeresforscher, verringere sich die Dichte und damit auch das Gewicht des Wassers.

Eine Verringerung des Salzgehaltes um nur ein Prozent genüge, um den Nordatlantikstrom zusammenbrechen zu lassen, warnt Bill Turrell vom Aberdeen Laboratory in Schottland. Er zeigte anhand von Messungen, dass sich der Salzgehalt bis 1970 kaum verändert hat, aber dann rapide zu sinken begann. Bis heute habe er sich um 0,1 Prozent gesenkt.

Früher kühlte sich das warme Oberflächenwasser des Golfstroms auf seinem Weg in den Norden ab, wurde im Zuge der Verdunstung salziger und damit dichter und schwerer. Vor der Küste Neufundlands und Südgrönlands war diese gigantische Wasserwalze so schwer, dass sie in eine Tiefe von bis zu 5000 Metern hinabstürzte und damit einen gewaltigen Sog erzeugte, der warmes Wasser aus dem Karibikraum nach Norden zog. Gleichzeitig strömte das kalte, auf den Meeresboden gesunkene Wasser in den Süden zurück. Damit kam eine Zirkulation in Gang, die wie ein Förderband wirkt. Das nordatlantische thermohaline Förderband – so die wissenschaftliche Bezeichnung für den Golfstrom – erwärmte den Norden und kühlte den Süden ab.

Weil der Salzgehalt heute erheblich geringer ist und zudem die Wassertemperatur höher ist, sinkt das Wasser nicht mehr so tief. Der Sog wird schwächer. Das kalte Wasser bleibt im Norden, das warme im Süden.

Alarmierende Beobachtungen

Jüngst veröffentlichte Untersuchungen scheinen die Süßwasser-Theorie zu bestätigen. Harry Bryden, Hannah Longworth und Stuart Cunningham von der Universität Southampton haben die Strömungsverhältnisse im Atlantik auf einer Linie zwischen den Bahamas und Teneriffa gemessen. In den Jahren 1957, 1981, 1992, 1998 und 2004 haben sie jeweils den Atlantik überquert und dabei alle 50 Kilometer Proben genommen, um die Temperatur und den Salzgehalt in verschiedenen Tiefen festzustellen. 2005 haben sie dann alle so erhaltenen Meßdaten verglichen. Das Ergebnis haben sie jetzt veröffentlicht: Die Daten der ersten drei Expeditionen ähneln einander sehr stark. 1998 und 2004 ist eine deutliche Abschwächung des Golfstroms erkennbar. Und noch alarmierender: Im Jahr 2004 ist nur noch halb so viel kaltes Tiefenwasser aus dem Norden über den 25. Breitengrad geströmt wie noch im Jahr 1957. Aber nicht nur von Nord nach Süd, also auf seinem Rückweg, auch auf seinem Weg von Süd nach Nord scheint der Golfstrom zu lahmen, fanden die drei Experten vom Nationalen Zentrum für Ozeanographie. Ihre Meßdaten belegen, dass warmes subtropisches Oberflächenwasser heute seine Reise nach Norden gar nicht mehr antritt, sondern Richtung Süden strömt (3).

Eine Studie aus dem Jahr 2001 bestätigt die Daten der drei britischen Forscher. Damals hatte ein Fischereilabor auf den Färöer-Inseln aufgrund eigener Messungen festgestellt, dass sich der Nordatlantikstrom in ihrer Region in den vergangenen 50 Jahren um ein Fünftel abgeschwächt habe.

Der Meereskundler Detlev Quadfasel von der Universität Hamburg hält die Erkenntnisse der Briten für bedeutsam: »Es gab zwar früher schon Untersuchungen, die auf eine Veränderung der Strömungsverhältnisse hindeuteten, aber bisher sind immer nur Teilaspekte des Systems untersucht worden. Bryden und seine Kollegen haben sich zum ersten Mal die Gesamtströmung angeguckt.«

Verheerende Folgen

Quadfasel erwartet von dem schwächer werdenden Nordatlantikstrom keine neue Eiszeit, »bestenfalls kompensiert dieser Abkühlungseffekt die Erwärmung durch den Klimawandel, so dass es in Nordwesteuropa vielleicht weniger schnell warm wird als im Rest der Welt«.(3)

Weniger um die Kälte als vielmehr um die Nässe macht sich Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) Sorgen. Durch eine Abschwächung des Golfstroms »könnte der Meeresspiegel um bis zu einen Meter an den Küsten des Nordatlantiks ansteigen«, fürchten er und seine Kollegen (4).

Noch schlimmer als der mögliche Kälteeinbruch im Norden oder küstennahe Überflutungen wären die Auswirkungen eines versiegenden Golfstroms auf andere Erdregionen. Darauf weist Richard B. Alley hin. Der Professor für Geowissenschaften an der Pennsylvania State University und Mitglied des dortigen Zentrums für Erdsystemforschung hat das Klima der Monsungebiete Afrikas und Asiens untersucht und festgestellt, dass die Niederschläge dort besonders gering ausfallen, wenn der Nordatlantik kälter ist als die ihn umgebenden Landmassen. »Schon die Abkühlung beim Erlahmen des Förderbands könnte ausreichen, um eine solche Austrocknung hervorzurufen. Angesichts der Milliarden von Menschen, die auf den Monsunregen angewiesen sind, um Bewässerungsfeldbau betreiben zu können, dürfte auch eine mäßige Dürre zu verbreiteter Hungersnot führen.« (5)

Die Schwarzmaler des Pentagon

In einer Studie für das Global Business Network befragten die beiden Amerikaner Peter Schwartz, früherer Planungschef bei Shell, und Doug Randall neun Klimaforscher über die Auswirkungen abrupter Klimaänderungen. Im Oktober 2003 veröffentlichte das Pentagon das Papier mit dem Titel »An Abrupt Climate Change Scenario and Its Implications for United States Security« (Ein Szenario des plötzlichen Klimawandels und dessen Bedeutung für die nationale Sicherheit der USA) (6). In ihm werden zwei zentrale Aussagen getroffen: Erstens, wir werden im 21. Jahrhundert eine starke globale Erwärmung erleben. Und zweitens: Der Klimawandel könnte kontinuierlich, aber auch plötzlich eintreten, z.B. durch ein Abschwächen oder gar einen Stopp des Golfstroms.

Die Studie zieht als Vergleich zwei historische Daten heran, die mit einem Versiegen des Golfstroms in Zusammenhang gebracht werden. So habe sich 1300 n.Chr. der Golfstrom verlangsamt und damit auf der nördlichen Erdhalbkugel eine »kleine Eiszeit« ausgelöst, die bis ins 19. Jahrhundert dauerte. In Nord- und Mitteleuropa sowie an der Ostküste der USA war es damals sehr viel kälter geworden, während es in den mittleren und westlichen Gebieten der USA so trocken wurde, dass Dürre und Waldbrände zum Alltag wurden.

Vor 8200 Jahren, so das Pentagon, stoppte der Golfstrom ganz. Die Folge: Nordeuropa verschwand unter einer dicken Eisschicht, der Osten der USA hatte Temperaturen, wie wir sie heute von Sibirien oder Alaska kennen. Diese »richtige Eiszeit« dauerte dann mehr als 100 Jahre. Falls dies einträfe, wäre die ganze Welt im Auf- und Umbruch. Länder wie Finnland, Schweden, Norwegen, Dänemark müßten wegen Eis, Zentralamerika und Nordafrika wegen Dürre evakuiert werden. Die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln wäre das größte Problem, da die meisten Anbauflächen der nördlichen Erdhalbkugel durch Kälte oder Dürre unfruchtbar geworden, aber auch die Äcker auf der Südhalbkugel durch deutlich höhere Temperaturen gefährdet wären. Außerdem würden Überschwemmungen und Stürme die bisherigen Niederschlagsmuster so verändern, dass nicht genügend Trinkwasser zur Verfügung stünde. Kriege um Nahrung und Wasser könnten die Folge sein. Aber: Stimmen die historischen Angaben des Pentagon? Und wenn ja: Stoppt der Golfstrom urplötzlich oder verlangsamt er sich über Jahre hinweg?

Plötzliche Eiszeiten

Der bereits zitierte Richard B. Alley befürchtet, dass die vom Menschen verursachte globale Erwärmung der Auslöser sein könnte, der unser heutiges Klimasystem kippen lässt (5). Dass es im Lauf der Erdgeschichte immer wieder plötzliche Klimaveränderungen gegeben hat, wissen wir aus den Aufzeichnungen der Natur: Eisbohrkerne, die man in den frühen 1990er Jahren dem Eisschild Grönlands entnommen hat, zeigen eine Reihe von starken Klimaschwankungen. Offenbar wechselten sich immer lange, sehr kalte Zeiten mit kurzen, wärmeren Perioden ab. Erstaunlich dabei ist, dass nach dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa 11 500 Jahren innerhalb von nur einem Jahrzehnt die Durchschnittstemperatur um zehn Grad Celsius (!) gestiegen war.

Richard Alley bestätigt mit seinen Untersuchungen, wovor die Pentagonstudie warnt: Plötzliche Temperaturstürze und darauf folgende Kälteperioden in der Arktis sorgten für Dürre in Nordafrika und Indien. Vor etwa 5000 Jahren fiel die Sahara einem derartigen Kälteeinbruch zum Opfer: Die grüne Landschaft mit ihren Seen verwandelte sich in eine Stein-, Sand- und Salzwüste.

Der Auslöser für diese plötzlichen Wetterumstürze war nach Ansicht der Mehrheit der Ozeanografen das Strömungsmuster im Atlantik. So haben Forscher des oben erwähnten Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung bei ihren Computermodellversuchen beobachtet, dass sich das Klima immer schlagartig veränderte, wenn sie die Nordatlantikströmungen veränderten. Klarheit brachte auch hier die Analyse der Eisbohrkerne Grönlands. Sie zeigten klar, dass Kälteeinbrüche immer dann auftraten, wenn das Oberflächenwasser im Nordatlantik salzärmer geworden war. So wie heute. Alley fürchtet, ein Temperatursturz werde jetzt im 21. Jahrhundert aufgrund der massiven globalen Erwärmung »viel stärker ausfallen als bei der Kleinen Eiszeit.«

Weiterforschen und vorbereiten

Um überhaupt für einen plötzlichen Klimaumschwung gewappnet zu sein, müssen wir noch weit mehr wissen über die Strömungen des Atlantik. Zu diesem Zweck haben sich die britischen Ozeanografen, die mit ihrer Veröffentlichung für so viel Furore gesorgt haben (siehe oben), mit dem Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg zusammen getan. In einem neuen Forschungsprojekt wollen sie kontinuierliche Daten über die Dichte des Wassers auswerten. Bryden, Cunningham und ihre Kollegen haben dafür bei ihrer letzten Atlantiküberquerung 19 Messeinheiten entlang von 26,5 Grad nördlicher Breite im Meeresboden verankert.

Auf die Ergebnisse der Forschungen zu warten und inzwischen nichts zu tun, hält Geowissenschaftler Alley für gefährlich: »Zwar dürfte ein verringerter Ausstoß von Treibhausgasen zur Stabilisierung des Klimas beitragen, doch genügt er vielleicht nicht oder wird von anderen Faktoren überkompensiert. Deshalb sollte man auch die Gefahr plötzlicher Veränderungen im Blick behalten.« (4)

Alley empfiehlt, bereits jetzt Pläne für den Klima-GAU zu erstellen. »Zum Beispiel könnten Kommunen schon jetzt Bäume pflanzen, die während einer plötzlichen Dürreperiode mit stürmischen Winden den Boden festhalten. Und sie könnten sich schon jetzt einigen, wer Zugang zu welchen Wasservorräten bekommt, wenn diese Ressource knapp wird.«

Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, das ebenfalls vor einem Versiegen des Golfstroms warnt, hat eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht, die verhindern sollen, dass es zum Klima-GAU, zur neuen Eiszeit, kommt: Steigerung der Energieeffizienz und Reduzierung der Treibhausgase; Ausbau der erneuerbaren Energien aus Wind, Wasser, Sonne, Biomasse und Erdwärme (1).

Ob diese Schritte rechtzeitig sind und ausreichen, werden wir bald wissen. Die Pentagonstudie gibt uns drei bis fünf Jahre (5).

Literatur:
(1) Das Kyoto-Protokoll, hrsg. vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU), Berlin 2005.
(2) Fortune Magazine, 2/2004.
(3) nature, Bd. 438, S. 655, 2005.
(4) Spektrum der Wissenschaft, 3/2005, S. 46.
(5) Energieverbraucher.de
(6) Schwartz, Peter/Doug Randall, »An Abrupt Climate Change Scenario and Its Implications for United States Security«, Oktober 2003.


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