Freitag, den 26. Juli 2013, geschrieben von Denk Mal
Ich habe mich oft gefragt, warum Revolutionen die Menschen nie zu mehr Freiheit geführt haben, ja, warum am Ende stest nur ein ungerechtes Herrschaftssystem ein anderes ersetzt hat. Eine zufriedenstellende Erklärung darauf habe ich erst gefunden, als ich mich näher mit der Psychologie des Menschen und all den Formen der Knechtschaft auseinandergesetzt habe, denen wir von Kindesbeinen an ausgesetzt sind.
Wahrscheinlich rechnet ihr jetzt damit, dass ich diese komplexe Frage in dem Artikel hier erörtern werde. Das ist aufgrund der Fülle der Informationen nur leider gar nicht möglich. Was ich euch aber gerne mitgeben würde, wäre ein weiteres Mosaiksteinchen auf dem Weg zu einer zufriedenstellenden Antwort. Es handelt sich diesmal um ein verblüffendes Zitat von Arno Gruen aus seinem Buch "Der Wahnsinn der Normalität":
“Cohn (Autor des Buches “Das Ringen um das Tausendjährige Reich”)
zeigte für das Mittelalter, wie der Zusammenbruch der Sozial- und
Wirtschaftsordnung zum Bedeutungsverlust beim einzelnen führte. Genau
das ist der entscheidende Punkt. Das auf Spaltung beruhende Selbst kann
seinen Zusammenhalt nicht mehr bewahren, wenn es von sozialen
Umwälzungen bedroht ist. Beginnt sich die soziale Struktur aufzulösen,
bricht die unterdrückte Wut hervor. Dann offenbaren sich die
mörderischen Impulse und das innere Chaos, die nur mittels eines äußeren
>>Feindes<>gesunden<< kann, wenn die Autorität der
sozialen Ordnung wiederhergestellt zu sein scheint.
Damit lässt sich das
scheinbare Paradox erkären, dass die russische Armee in den Jahren 1905
und 1906 ständig sowohl selbst meuterte als auch der Niederschlagung
von Aufständen diente, wie es John Bushnell beschrieb: Dieselben
Soldaten wechselten in rascher Folge ihr Verhalten und durchliefen
innerhalb von zehn Monaten zweimal den kompletten Zyklus von Rebellion
und neuer Loyalität. Truppen, die von Januar bis Oktober 1905 Aufstände
niederschlugen, meuterten von Ende Oktober bis Anfang Dezember, und
bereits ab Ende Dezember schossen sie wieder auf Zivilisten, um von Mai
bis Juni 1906 erneut zu rebellieren und Ende Juli wieder gegen
Aufständische vorzugehen.
Bushnell zeigte, dass das wechselnde Verhalten der Soldaten nichts mit
ihrer Behandlung oder mit ihren politischen Anschauungen zu tun hatte.
Ausschlaggebend war einzig, wen sie gerade für die Autorität hielten –
nur die gab ihrem Selbstgefühl Halt. Glaubten sie, das alte Regime sei
am Ende, dann revoltierten sie. Glaubten sie aber, dass es noch
Befehlsgewalt habe, dann gingen sie gegen die Zivilisten vor.
Daran wird sichtbar, dass nicht so sehr der Zerfall der äußeren
sozialen Strukturen Rebellion hervorruft, sondern dass es darum geht, ob
eine Autorität vorhanden ist, der man sich unterwerfen kann. Scheint
sie nicht mehr vorhanden zu sein, dann bricht das auf Anpassung
gegründete Persönlichkeitsgefüge auseinander. Und so kommt es zum – in
diesem Fall wiederholten – Umschwenken. Die immer vorhandende
Bereitschaft zur Gewaltätigkeit richtet sich unmittelbar gegen das, was
vorher noch für gut gehalten wurde.
[...] ein nicht auf Autonomie beruhendes Selbst revoltiert nicht,
weil sich seine Natur grundlegend gewandelt hat. Es ändert sich nur die
Richtung seiner Gewaltätigkeit. Revolutionen mögen an den Formen der
Knechtschaft etwas ändern oder nicht – an der Knechtschaft selbst ändern
sie nichts, solande die Autoritätshörigkeit nicht überwunden wird. Dann
wird weiterhin das Böse als das Gute verteidigt, und es findet keine
wirkliche Befreiung des Selbst statt. Erst sie würde zurückführen zu den
wahren Bedürfnissen nach Liebe und aus dem Teufelskreis der Zerstörung
hinausführen.
[...] In diesem Dilemma des Gehorsams stecken noch heute all jene Deutschen,
die 1945 mit dem Ende des Krieges und der Nazi-Herrschaft so leicht vom
Faschismus zur Demokratie überliefen. Das wahre Selbst war nie wirklich
beteiligt – weder damals noch heute, und darum hört das innere Unbehagen
nie auf."
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